Ausgewählter Beitrag
„Du, Tante Meislein – warum sterben
Tiere früher als Menschen?“ Louis, der fünfjährige Urenkel unserer Nachbarin,
der gerade dabei ist, Barny ein Loch ins Fell zu kraulen, sieht mich fragend
an. Vor einer Woche ist sein Hund Bismarck über die Regenbogenbrücke gelaufen.
Bismarck war ein Mischling – halb Bernhardiner, halb Berner Sennenhund -, ein
Riesentier mit einem flaumfederweichen Herzen. Für den stillen, zurückhaltenden
Jungen war er viel mehr als nur ein Hund: Er war Louis´ Spielkamerad, sein
Vertrauter und sein bester Freund. Stolze elf Jahre ist Bismarck geworden. Bei
einem Hund seiner Abstammung und Größe ist das ziemlich viel, ein Mensch wäre
ungefähr fünfundsiebzig Jahre alt.
Wenn man es recht bedenkt, altern unsere vierbeinigen Freunde gar nicht schneller als wir; sie erfahren die Zeit nur angepasst an ihren eigenen Lebensrhythmus und altern nach ihrem eigenen Zeitempfinden. Jungtiere werden ja auch viel früher selbstständig als Menschenkinder; und innerhalb der ihnen von der Schöpfung zugeteilten Spanne ist ihr Leben genauso er- und ausgefüllt wie unseres. Vorausgesetzt, dass der Mensch diese Spanne respektiert und nicht willkürlich vor ihrem natürlichen Ablauf beendet; sei es aus Bequemlichkeit, weil der Hund der Urlaubsplanung im Wege steht, oder aus Geiz, um bei älteren Tieren die zwangsläufig höher werdenden Tierarztkosten zu sparen. Wobei sich jeder verantwortungsvolle Veterinär strikt weigern sollte, ein gesundes Tier aus derart fadenscheinigen Gründen einzuschläfern.-
Bloß wie erkläre ich das Louis, der gerade den ersten schweren Verlust seines Lebens erlitten hat? Für den Jungen ist der Begriff „Zeit“ ja noch eine völlig abstrakte Größe, mit der er herzlich wenig anfangen kann – und im Grunde verstehe ich es selber nicht. Wie oft habe ich mich schon gefragt, weshalb unsere Süßen nicht einfach ebenso lange leben können wie wir. Gemeinsam alt werden und friedlich miteinander auf die andere Seite gehen, das wäre es doch. Von dreizehn geliebten Tieren habe ich nun schon Abschied nehmen müssen. Ich habe das Gefühl, mein Herz wird immer kleiner, weil jedes Mal ein Stück davon mitgeht.
Meine einzige Erklärung ist, dass wir nur, indem wir den natürlichen Lauf der Dinge akzeptieren und den Trennungsschmerz in Kauf nehmen, in der Lage sind, mehr als einem Tier ein Zuhause und Geborgenheit zu schenken. Sicher ist es bitter, wenn man seinen Liebling, den man schon alt und krank bekommen hat, nach weniger als einem Jahr wieder hergeben muss. Dreimal haben wir das bisher erlebt, und immer denkst du, es bringt dich um. Aber wir möchten trotzdem keinen von diesen „Lebensabschnittsgefährten“ missen, sie alle haben uns reich und glücklich gemacht mit ihrer bedingungslosen Liebe und Anhänglichkeit. Die Zeit heilt bekanntlich Wunden, und sicher wird auch Louis eines Tages einen neuen Hund in sein Herz schließen. Dennoch werden Bismarck und all unsere anderen treuen Wegbegleiter unvergessen bleiben, bis wir sie eines Tages wiedersehen.
Lebenslichter 08.10.2020, 19.26
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