Plötzlich gibt es an der Fensterscheibe einen dumpfen Schlag. Ich erschrecke und ahne Schlimmes. Zu Recht, denn auf den Terrassenfliesen liegt ein kleiner Grünfink mit seltsam verdrehtem Köpfchen. Ich renne nach draußen und hebe das Vögelchen behutsam auf. Es ist so winzig, man könnte fast meinen, dass es sich um ein Jungtier handelt. Gott sei Dank, es lebt und scheint sich auch nichts gebrochen zu haben. Leider kommt es immer wieder einmal vor, dass so ein gefiederter Freund gegen die Scheibe fliegt. Im Fernsehen gab es einen Bericht, dass jährlich Hunderttausende von Singvögeln in den Großstädten überall auf der Welt auf die Weise ums Leben kommen. Diese hässlichen, schwarzen Folien in Krähengestalt, die manche in bester Absicht an ihre Fenster kleben, funktionieren nämlich nicht wirklich. Der Vogel denkt sich, ach guck mal, ein Artgenosse, fliegt hin und „BUMMS!“ Bei neugebauten Hochhäusern setzt man darum inzwischen ein spezielles Fensterglas ein, welches von außen entspiegelt ist.
Ich sehe mir den Grünfinken genauer an. Inzwischen hält er das Köpfchen wieder gerade und wirkt auch sonst recht munter. Er hat sicher nur einen Schock erlitten und der kleine Schädel brummt ihm von dem Aufprall. Aber wohin jetzt mit ihm? Da fällt mir Wendys Futternapf ein, den ich zur Erinnerung aufgehoben habe. Mit einem weichen Tuch darin gibt er ein bequemes Ruheplätzchen ab. Vorsichtig setze ich den kleinen Vogel hinein, stelle den Napf auf den Esszimmertisch und schließe die Tür. Vorher habe ich den Durchgang zur Terrasse weit aufgemacht, damit er den Ausflug findet, wenn er sich von seinem Schrecken erholt hat. Dann spreche ich noch ein Gebet für ihn und hoffe das Beste.
Eine halbe Stunde später gehe ich leise nachschauen. Das Finklein hockt
noch immer an derselben Stelle. Aber als ich einen Schritt nähertrete, flattert
es plötzlich los und fliegt zielstrebig hinaus in den Garten. Das ist zum Glück
noch einmal gut gegangen. Erleichtert sage ich ein kurzes Dankgebet. Wendys
Napf kommt wieder an seinen Platz, das Tuch wandert in den Wäschekorb – der
Piepmatz hat darauf ein Andenken hinterlassen. Mach es gut, kleiner Vogel und
genieße deine Freiheit. Bald kommt der Frühling, vielleicht höre ich dich dann
einmal zwitschern, oder du kommst uns sogar mit deinem Nachwuchs besuchen. Ich
wünsche dir ein glückliches Leben.
Lebenslichter 31.03.2024, 17.11| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: TIERLIEBE - GELIEBTE TIERE