Tag: Unterholz
Jetzt sah sie auch, was uns so faszinierte: Etwa zwanzig Meter neben dem Weg hatten Kinder im Sommer aus Ästen und Stöcken eine Art Wigwam gebaut. Und davor lag – nee, nicht Winnetou, sondern ein ausgewachsener Keiler! Es war halb elf am hellen Vormittag, noch dazu bei strahlendem Sonnenschein, wer rechnet denn da mit sowas? Anscheinend hatte der Bursche sich das hölzerne Zelt als Schlafplatz ausgesucht. Als er uns hörte, stand er behäbig auf und fixierte uns. Frauchen kriegte voll die Panik, das können Sie sich wohl denken.
Leise, um das Wildschwein nicht zu erschrecken, rief sie nach Barny. Das war natürlich zwecklos, denn der gehorcht meistens nur, wenn er will. Und jetzt wollte er nicht. Aber da fing der Keiler zu quieken an; richtig drohend klang das und hieß auf Wildschweinisch wohl so viel wie: „Mach dich schleunigst vom Acker, du Zwerg! Ein bisschen dalli, wenn ich bitten darf, sonst nehme ich dich auf meine Hauer und lehre dich das Fliegen, dass dir Hören und Sehen vergeht!“
Das wirkte. Barny drehte sich um und trottete gemächlich zu uns zurück. Zack,
da hatte Frauchen ihn auch schon am Haken. Dann gingen wir möglichst
unauffällig weiter. Frauchen zitterten die Knie, und für den Rest der Strecke
blieben wir angeleint. Das war zwar doof, aber sie kennt ihre Pappenheimer. Sie
wusste genau, dass wir die erste sich bietende Gelegenheit zur Wildschweinjagd
nutzen würden - und wie die hätte enden können, das malen wir uns lieber nicht
aus!
Also
dann, gute Zeit und auf Wiederlesen.
Haben
Sie es fein!
Ihre Nelly
Lebenslichter 07.03.2024, 18.05 | (0/0) Kommentare | PL
Mit den Hunden, die wir trafen, verstand ich mich im Allgemeinen gut, mochte ab und zu auch mit ihnen spielen; nur ging das wegen der doofen Leine nicht so recht. Ich fing an, mich ein bisschen zu langweilen. Barny konnte ja immer frei herumlaufen, und ich wäre ihm zu gern auf seinen Extratouren gefolgt.
Endlich kam der große Tag, an dem Frauchen sagte: "Ich denke, wir haben jetzt lange genug geübt. Wir sollten Nelly einen ersten Freigang erlauben." Chef war einverstanden, meinte jedoch, er würde dann lieber das Fahrrad mitnehmen, um mich nötigenfalls verfolgen zu können. Das war lieb von ihm gedacht, aber überflüssig. Die neue Freiheit war ja noch ungewohnt für mich und ich fühlte mich ein wenig unsicher. So entfernte ich mich anfangs nur selten von den anderen, unternahm höchstens mal einen kurzen Streifzug durchs Unterholz, wenn irgendwo ein Vogel aufflog oder ein Mäuschen raschelte. Dabei blieb ich stets in Ruf- und Sichtweite, bis eines Tages... Aber das erzähle ich Ihnen beim nächsten Mal.
Gute Nacht und auf Wiederlesen.
Haben Sie es fein!
Ihre Nelly
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Lebenslichter 03.03.2024, 17.46 | (0/0) Kommentare | PL